Phänomen aus China: Live-Shopping am Vormarsch im E-Commerce

6. August 2024

Welcher Trend ergibt sich, wenn man Teleshopping, Online-Livestreams und E-Commerce-Plattformen kombiniert? Es geht um den aufregenden digitalen Einkaufsbummel, besser bekannt als Live-Shopping. Immer mehr Marken vertrauen bei der Präsentation und der Modellierung ihrer Produkte auf Liveshopping-Events als Marketing-Strategie. Wie Unternehmen erfolgreich auf den Megatrend aus China aufspringen und ihr Publikum überzeugen, verrät der nachfolgende Beitrag. 

Livestream- vs. Teleshopping: Was ist das überhaupt?

Bei Livestream-Shopping, oder kurz Live-Shopping genannt, handelt es sich grundsätzlich um eine Marketingstrategie, bei welcher ein Host – oftmals ein Influencer oder ein Prominenter – ein oder mehrere Produkte in einem Live-Video bewirbt. Das Konzept wird gerne mit altbekannten Home-Shopping-Sendungen aus dem TV verglichen, bei welchen Moderatoren demonstrieren, wie ein bestimmtes Produkt funktioniert. Beim Livestream-Shopping findet die gesamte Interaktion zwischen dem Host und dem Publikum allerdings, wie es der Name schon vorwegnimmt, in Echtzeit statt. Potenzielle Kunden können also live mit dem Host interagieren, Fragen stellen oder auch Kommentare abgeben, noch während dieser die entsprechenden Inhalte präsentiert. In der Regel werden derartige Sendungen über E-Commerce-Apps, soziale Plattformen wie Youtube, TikTok und Twitch oder auch Webseiten wie Taobao oder Amazon übertragen.

So wie beim klassischen Teleshopping stehen auch beim Live-Shopping die anschauliche Präsentation der gewünschten Produkte sowie die Möglichkeit eines unmittelbaren Kaufabschlusses im Vordergrund. Beide Konzepte zielen außerdem stark darauf ab, die Zuseher mit einmaligen Sonderangeboten und vermeintlichen Schnäppchen zu überzeugen. Dennoch ist das Potenzial beim Teleshopping relativ schnell ausgeschöpft – während einer Sendung steht nur eine begrenzte Auswahl an Produkten zur Verfügung, die außerdem nur per Telefon bestellt werden kann. Wie bereits angedeutet, kann das Publikum beim Livestream-Shopping direkt mit dem Host interagieren und die Sendung ohne vorangegangene Bearbeitung live mitverfolgen. Obwohl das klassische Teleshopping gerade unter älteren Menschen nach wie vor sehr beliebt ist, verfolgen jüngere Generationen Shopping-Livestreams immer öfter online. 

Umsätze in Milliardenhöhe: Live-Shopping in Zahlen

Während der weltweit generierte Gewinn im Jahr 2019 noch bei rund 60 Milliarden US-Dollar lag, soll Live-Shopping ein Jahr später allein in China für einen Umsatz von rund 158 Milliarden US-Dollar verantwortlich gewesen sein. Vor allem besondere Events, wie das „China Double Eleven“ Shoppingfestival, treiben die Einnahmen noch stärker in die Höhe. Am Tag des Festivals berichtete Taobao von einem Umsatz von 12,8 Millionen Euro bei jedem seiner 28 Livestreams, Alibaba sogar von rund 64 Milliarden Euro. Im Jahr 2021 konnte in Deutschland ein Gewinn von rund 2,23 Milliarden Euro nur durch Live-Shopping erzielt werden, was einer Steigerung von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. So scheint auch der Shoppingsender QVC das Potenzial der Strategie bereits erkannt zu haben, gibt es den Sender mittlerweile ebenfalls als Livestream auf Youtube.

Die Rolle Chinas als Liveshopping-Vorreiter

Populär wurde das Konzept des Livestream-Shoppings zuerst in der Volksrepublik China, welche die höchste Anzahl an Online-Shoppern weltweit aufweist. Influencer oder Key Opinion Leaders (KOLs) treten dort in der Regel in einer App auf und beschreiben, testen oder modellieren die unterschiedlichsten Produkte für ihr Publikum. Auch der Unterhaltungsfaktor – das sogenannte „Shoppertainment“ – spielt hierbei eine große Rolle. 50 Tausend Übertragungen, 300 Milliarden Euro an generiertem Umsatz – die Zahlen sprechen eindeutig für die Relevanz von Live-Shopping als Distributionskanal. Vier von fünf Einwohner Chinas haben bereits über eine Liveübertragung eingekauft, einzelne Hosts haben sich außerdem zu nationalen Berühmtheiten gestreamt. Dies gilt beispielsweise für den jungen Chinesen Li Jiaqi, der oftmals als „Lippenstiftkönig“ bezeichnet wird. Der Influencer und Unternehmer hat es geschafft, innerhalb von fünf Minuten rund 15.000 Lippenstifte zu verkaufen und macht an einem einzelnen Tag über 140 Millionen Dollar Umsatz.

Livestream-Shopping China
Abbildung 1: Livestream-Shopping im großen Stil: In China gibt es unzählige Streams und sogar nationale Liveshopping-Berühmtheiten.

Die Gründe dafür, warum sich Livestream-Shopping in China als Massenphänomen etablieren konnte, sind vielfältig. Einer davon ist der Eskapismus, also die Flucht vor der realen Welt und vor den vermeintlich langweiligen oder unangenehmen Aspekten des Alltags, welche beim Zusehen von oder beim Interagieren mit Livestream-Hosts ausgeblendet werden. Hinzu kommen Ängste vor gefälschten Produkten oder kontaminierten Lebensmitteln, die das Publikum wiederum durch die Möglichkeit des unmittelbaren Austauschs und Bewertens umgeht. Für den Erfolg spricht außerdem die vorhandene Infrastruktur, wie es sogenannte Superapps wie Alibaba oder Taobao Live mit ihren voll integrierten Shopping-Plattformen vorzeigen. 

Doch nicht nur tausende Kilometer entfernt, sondern auch in Deutschland genießt die Strategie immer mehr an Beliebtheit. Rund 36 Prozent von ausgewählten Marken aus dem Mode- und Beauty-Sektor haben schon ein Livestream-Event veranstaltet. Dennoch gibt es nach wie vor Herausforderungen, die Live-Shopping als Phänomen hierzulande noch nicht in der breiten Masse ankommen lassen haben. Auf der einen Seite ist die individuelle Beratung von Kunden in Deutschland noch schwach ausgeprägt. Andererseits agieren deutsche Anbieter bei der Produktpräsentation per se oftmals noch zu statisch und überfordern potenzielle Käufer mit zu vielen Informationen zu einem gewissen Produkt. Viele Marken vertrauen des Weiteren darauf, dass sich ihr Publikum mit vorab produzierten und bearbeiteten Videos zufriedengibt. 

Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Live-Shopping

Gerade im DACH-Raum gibt es den ein oder anderen Aspekt, bei dem sich Kommunikationsexperten für den erfolgreichen Einsatz von Livestream-Shopping als Marketingstrategie noch etwas vom Vorreiter China abschauen können. Dennoch gibt es auch in nächster Nähe schon positive Beispiele, die hervorgehoben werden sollten. Beispielsweise finden Interessenten der Parfümerie Douglas den Link zu aktuellen Livestreams direkt auf der Startseite. Folgen potenzielle Kunden dem entsprechenden Link, werden sie auf eine neue Landing Page geführt, auf welcher alle Streams zum unmittelbaren Aufruf bereitstehen. So steht dem aufregenden Liveshopping-Vergnügen nichts mehr im Wege. 

Shopping-Livestream Beispiel Douglas
Shopping-Livestream Beispiel Douglas
Abbildung 2: Positivbeispiel Douglas: Auf der Homepage des Anbieters finden Kunden direkt über die Startseite zu den einzelnen Shopping-Livestreams.

Zu weiteren etablierten Marken, die sich das Konzept des Live-Shoppings bereits zunutze machen, gehören unter anderem Tchibo, hagebaumarkt, Lego, XXXLutz, Höffner oder SportScheck. Auch Mediamarkt bietet seinem Publikum in etwa fünf bis sechs Übertragungen, Lidl zumeist eine Live-Show pro Monat an. In der Fashionbranche zählen des Weiteren auch Namen wie Esprit, Otto, AboutYou oder Walbusch zu jenen Unternehmen, die Livestream-Shopping schon einsetzen. Die Erfolgsgeschichte der Marke Karls aus Rostock ist in diesem Zusammenhang ebenso hervorzuheben. Während Kunden anfangs ausschließlich Erdbeeren auf dem Hof kaufen konnten, hat das Unternehmen mittlerweile zahlreiche landwirtschaftlich thematisierte Erlebnisdörfer eröffnet. Seit 2018 gibt es außerdem eine eigene App, die Verfolger der Marke auch mit Liveshopping-Shows versorgt. 

Interest, Desire, Action: Live-Shopping im Marketing-Mix

Aus der Sicht von Kommunikationsexperten lässt sich feststellen, dass Livestream-Shopping klassische Marketing-Maßnahmen hervorragend ergänzt. Als primäres Ziel hinter dem Einsatz von Live-Shopping steht der direkte Abverkauf der gewünschten Produkte über den Onlineshop. Doch oftmals ist es gerade eine anschauliche, überzeugende Präsentation sowie die authentische Interaktion mit dem eigenen Publikum, welche Interesse und Begehrlichkeit erst erwecken. Zusätzlich können auch beim Livestream-Shopping unzählige Daten für weiterführende Kommunikationsmaßnahmen generiert werden. Kommen Kunden außerdem direkt über ein Liveshopping-Event mit einer Marke oder einem bestimmten Produkt in Berührung und sind sofort von den dargebotenen Inhalten überzeugt, kann die Customer Journey stark verkürzt werden. Der gesamte Prozess von der Bewusstseinsbildung und dem geweckten Interesse bis hin zum Kaufabschluss geht in diesem Fall deutlich schneller vonstatten.

Zusätzlich empfiehlt es sich, das Publikum während der einzelnen Livestreams möglichst spielerisch mit weiteren Aktionen zu unterhalten und zu binden. So kann der Host beispielsweise besondere Werbegeschenke oder Ähnliches anbieten – das allerdings nur innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. Wie auch beim klassischen Teleshopping kann der Anbieter so auch beim Live-Shopping das Gefühl der Dringlichkeit durch Knappheit oder begrenzte Verfügbarkeit betonen. Gerade bei höheren Zahlen an Zusehern erweisen sich derartige Werbeaktionen als besonders erfolgreich, da die Angst davor, von einem potenziell guten Angebot „ausgeschlossen“ zu werden noch stärker und schneller auftritt. 

Von Amazon bis TikTok: die Auswahl der optimalen Liveshopping-Plattform

Der Onlineversandhändler Amazon erweist sich beispielsweise als Vorreiter, was die Nutzung von Liveshopping-Formaten angeht. Interessenten finden auf der Plattform diverse Streams zu den Themen Fitness, Ernährung, Home und weiteren Kategorien. Die entsprechenden Produkte können außerdem direkt unter der jeweiligen Übertragung erworben werden. Bis dato sind die Live-Sendungen auf Amazon allerdings noch nicht auf Deutsch verfügbar. Jene Unternehmen, die auf den sozialen Plattformen Facebook oder Instagram Shops angelegt haben, können auch direkt in den Apps jener Medien einen Livestream für potenzielle Käufer starten. Die Trendplattform TikTok sorgte im Dezember 2021 mit zwei großangelegten Live-Shopping Events für Schlagzeilen und machte damit einen weiteren Vorstoß in Richtung E-Commerce.

Unabhängig von der ausgewählten Plattform gibt es einige Anhaltspunkte, an denen sich Marketing-Strategen für den erfolgreichen Einsatz von Livestream-Shopping orientieren können. Einerseits müssen die Inhalte per se nicht zwingend perfekt designt oder der Text bis auf das letzte Wort vorgefertigt sein. Solange die Hosts – egal, ob Mitarbeiter oder Medienprofis – die Inhalte glaubwürdig vermitteln und Live-Shopping regelmäßig anwenden, werden sie ihr Publikum überzeugen. Dennoch sollten sie stets dafür sorgen, dass sie die wichtigsten Inhalte und Fakten auf den Punkt genau transportieren und sich Interessenten nicht durch langes Gerede gelangweilt fühlen. Die Wahl des Distributionskanals an sich hängt in der Regel von den verfügbaren Ressourcen ab. Während kleinere Unternehmen vermehrt auf die vorhandene Infrastruktur von Social Media Plattformen bauen, punkten etabliertere Marken auch mit eigenen Liveshopping-Streams. Am besten hat sich die Strategie bis dato außerdem für Direct-to-Consumer Modelle erwiesen, die keine Zwischenhändler benötigen.

Strategie mit ungenutztem Potenzial: Warum Live-Shopping?

Livestream-Shopping als Marketing-Instrument kann unabhängig von der gewählten Plattform, der zugehörigen Branche oder den präsentierten Produkten Umsätze in Millionen- oder gar Milliardenhöhe generieren. Zuseher erhalten einerseits die Möglichkeit unmittelbar mit dem Host des Livestreams zu interagieren, andererseits kann bestenfalls direkt im Zuge der Live-Übertragung ein Kaufabschluss stattfinden. Obwohl es auch in Deutschland bereits einige Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Live-Shopping gibt, scheint noch mehr ungenutztes Potenzial in der Kombination von Teleshopping, Online-Livestreams und E-Commerce-Plattformen zu stecken. Mit China als Liveshopping-Vorreiter im Hinterkopf empfiehlt es sich daher für Marketingexperten in Unternehmen jeglicher Größenordnung, das Konzept bei ihren strategischen sowie operativen Entscheidungen nicht außen vor zu lassen.